Ich hätte nie für möglich gehalten, dass ein zweites Kind von den gleichen Eltern so anders sein kann als das erste. Alle lachen immer, wenn ich bei Fiona rückblickend von einem "Anfängerbaby" spreche, aber genau das war sie. Felicia hingegen hat es faustdick hinter den Ohren. Ich glaube, dass das eine genetisch bedingte Charaktersache ist, aber sicherlich tut auch der "Ich-bin-das-zweite-Kind"-Status sein Übriges dazu.
Sie fordert mich. Um ehrlich zu sein, bringt sie mich auch körperlich an meine Grenzen. Ich habe keinen Moment mehr für mich alleine, nur diesen jetzt gerade, wo sie nebenan mit Papa im Bett liegt und noch schläft [Anm.d.Red: 2min, nachdem ich das schrieb, wurde sie wach]. Tagsüber Mittagsschlaf ist oft Fehlanzeige, und wenn, dann nur kurz mal eine halbe Stunde in der Trage, also auch an mir dran. Wenn ich aufs Klo gehe, dusche oder mir die Haare wasche, habe ich Publikum, was nebenbei den Badezimmerschrank ausräumt. Wenn ich versuche, im Home Office zu arbeiten, sitzt hinter mir im Laufgitter ein Baby, das bespaßt werden möchte und das auch lautstark äußert. Ich kann alle Melodien und Texte des blinkenden Telefons auswendig mitsingen und währenddessen Noten für ein ganz anderes Lied aufschreiben - Multitasking at its best! Ich bin unglaublich schnell in der Erledigung von Aufgaben geworden, weil ich ja nie weiß, wie lange sie mich noch arbeiten lässt und wann ihre Geduld endgültig vorbei ist.
Wenn ich sie auf dem Schoß habe und am Klavier etwas ausprobiere, schiebt sie meine Hände weg und macht selber Musik. Die Demo-Taste kennt sie auch schon.
Wenn ich - nachdem sie satt ist - endlich auch essen möchte, klettert sie in ihrem Hochstuhl und versucht ständig, auszubrechen. Wenn ich dem großen Mädchen ein Buch vorlese, sitzt ein kleines Mädchen im Bett und versucht, die Seiten zu zerreißen, wenn ihm die Zeit bis zum Umblättern zu lange dauert. Wenn ich abends völlig erschlagen auf die Couch gehe, klettert ein mopsfideles Baby auf mir rum, nimmt mir die Bücher weg, die ich gerade lesen möchte (hat zwar keine Haare aber interessiert sich brennend für "Wunderschöne Flechtfrisuren"), versucht, die CDs auszuräumen oder die Handcreme zu essen und schreit, wenn ich etwas wegnehme. Wenn ich mich hinlege, um das nörgelig-müde aber trotzdem aufgedrehte Kind zu stillen, schlafe ich ein und verpasse die einzige Sendung, die ich gern sehen möchte und auf die ich mich den ganzen Tag gefreut habe (Ja, ich oute mich als Dschungel-Gucker, aber ich verpenne ja alle Folgen...). Wenn ich dann ins Bett gehe, wird das Baby wach, brüllt, lässt sich von Papa nicht beruhigen und ich putze mir in Windeseile die Zähne und schminke mich gleichzeitig ab, damit das große Kind von dem Gebrüll nicht wach wird. Wenn ich dann blitzschnell den Schlafanzug anziehe und ins Bett gehe, um das Baby erneut zu stillen, schlafe ich dabei ein und liege die ganze Nacht mit hochgeschobenem Oberteil auf der Seite. Ungefähr alle 2 Stunden werde ich geweckt und muss das Baby wieder beruhigen, bevor es in einer anderen unbequemen Position weiterschläft. Sicher haben wir versucht, das schlafende Baby in sein eigenes Bett zu legen, aber nachdem das ein paar Mal schief gegangen ist, wird man vorsichtig und genügsam. 30cm Bett sind völlig ok, solange man mal für eine Stunde die Augen zumachen darf.
Todmüde gucke ich aufs Handy und werde panisch, wenn es schon halb 6 ist und ich das Gefühl habe, noch gar nicht geschlafen zu haben. Denn 6.20 Uhr klingelt der Wecker und dann ist meine Nacht vorbei. Ich habe Augenringe bis zum Knie und furchtbar Rücken von dem krummen Liegen. Und sollte ich in absehbarer Zeit mein erstes graues Haar kriegen, weiß ich schon, nach wem ich es benennen werde...
Das große Kind genießt die morgendliche Exklusivzeit mit mir, das merke ich. Ich dope mich mit Kaffee, bin für sie gut gelaunt und überspiele meine Nacht, damit Fiona einen guten Start in den Tag hat. Wir gehen im Dunkeln zur Schule, quatschen über Dies und Das, verabschieden uns und ich laufe allein zurück.
Diese 10min sind meine Me-Time. Nur ich und meine Gedanken.
Und die kalte Luft. Kurz mal rebooten. Strg Alt Entf.
Ich liebe dieses Baby abgöttisch und wenn es sich morgens verschlafen die Augen reibt und lächelt, ist jede noch so schlimme Nacht vergessen.
Aber es bringt mich an meine Grenzen. Ich. Bin. So. Müde.
Natürlich laufen auch nicht alle Tage und Nächte so ab, aber eben die meisten.
Anfang der Woche waren wir beim Osteopathen, mein letzter Strohhalm, was das Schlafproblem angeht. Der hat eine Blockade am Kreuzbein festgestellt und behoben und ich warte nun, ob sich dadurch irgendetwas ändert.
Ich freue mich täglich auf die Stunden am Nachmittag, in denen ich arbeiten gehen darf und sie bei meiner Mama ist. Eine kleine Auszeit für uns beide, kurz mal auf "Pause" gedrückt. Sie weiß ganz genau, was sie will und auch, was sie nicht will. Sie wird unglaublich bockig, wenn etwas nicht so läuft, wie sie es sich vorstellt, kann aber andererseits auch wahnsinnig gut gelaunt sein, tanzen, singen, erzählen, lachen und flirten, was das Zeug hält.
Noch so ein kleiner Mensch und doch schon so viel Persönlichkeit!
Ich schätze, wenn dieses Kind erst spricht, können wir uns alle warm anziehen.
Kennt ihr diese Situationen auch?
Waren bei euch auch beide Kinder so grundverschieden?
Ein seltenes Bild: das Kind schläft! |